Liebe Leserinnen und Leser!
Kaum einer kann sich ein Leben mit einer plötzlich zerstört Sprache vorstellen, schon gar nicht die Verzweiflung und die alltäglichen mühsamen Kommunikationsschwierigkeiten. Obwohl nicht selten, ist Aphasie in der Öffentlichkeit leider ziemlich unbekannt.
Durch den Schicksalsschlag Aphasie (z. B. als Folge eines Schlaganfalls oder Schädel-Hirn-Traumas) werden jährlich Zehntausende in ein unbekanntes Aphasie-Leben katapultiert und lernen zwangsläufig diese fürchterliche Kommunikationsbe-hinderung im Detail kennen. Das gilt ebenso für die mitbetroffenen Partner und die nahen Angehörigen, denn auch ihre Lebenssituation wird durch die Aphasie des Erkrankten verändert, denn Sprache ist die Grundlage unserer Kommunikation, unseres gesamten Lebens. Natürlich schöpfen die Angehörigen aus der Liebe zum Erkrankten die Kraft und den Willen, die völlig veränderte Lebenssituation zu meistern. Jedoch schützt diese Liebe nicht vor Wut, Verzweiflung, Hilfslosigkeit, Frustration, Überforderung und dem lähmenden Gefühl des Alleingelassenseins.
Die Aphasie-Tragödien spielen sich im Verborgenen ab, weil die Öffentlichkeit kaum Interesse an diesen Schicksalen hat. Auch das medizinische, psychologische und sozialpolitische Interesse ist nicht sehr ausgeprägt. Bleibt dies so, werden sich auf gesellschaftlich relevanter Ebene auch zukünftig kaum Empathie und Verständnis für die Belastungen, Sorgen und Nöte der von Aphasie betroffenen Menschen und deren Angehörigen entwickeln können.
Logopädische Therapie, Ergotherapie und Physiotherapie werden in der Regel verordnet, aber häufig ist vor allem die logopädische Therapie zeitlich begrenzt und dadurch unzureichend und demotivierend. Für die teils dramatische psychosoziale Problematik gibt es viel zu wenig kurzfristige Beratungs-Möglichkeiten oder gar psychotherapeutische Gespräche bzw. ein Coaching in belastenden Situationen. Oft werden Betroffene und Angehörige nicht auf die vorhandenen Möglichkeiten hingewiesen, die z.B. der Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker (www.aphasiker.de) mit den verschiedenen Landesverbänden geschaffen hat.
Eine »langfristige« Versorgung/Begleitung/Beratung, ein Coaching also, bleibt bisher Wunschdenken. Viele Betroffenen und ihre mitbetroffenen Partner etc. müssen mit ihrer neuen Situation allein zurechtkommen. Das ist schlimm, denn allein die demografische Entwicklung wird eine Verschärfung der Problematik mit sich bringen. Die Anzahl der Schlaganfälle ist steigend.
Auf diese schwierigen aphasiebedingten Lebenssituationen möchte ich aufmerksam machen und Betroffenen und vor allem Mitbetroffenen Mut machen, über ihre schwierige Lebenssituation mit den uninformierten Außenstehenden zu sprechen. Ich weiß aus Erfahrung, wie schwer es ist, die eigene emotionale Betroffenheit und den belastenden Alltag des Aphasie-Lebens so zu schildern, dass Außenstehende wenigstens annähernd eine Vorstellung von den täglichen Schwierigkeiten und von den Lebens-Defiziten bekommen.
Auch medizinische / psychologische Therapeuten sind in der Regel erst einmal nur Außenstehende, die sich im Laufe ihrer Berufserfahrung in die aphasiebedingten Kommunikations-Probleme ihrer Patienten hineindenken und -fühlen müssen. Falls sie sich überhaupt mit diesen speziellen Aphasie-Problemen befassen (wollen).
Die Realität gibt es bei der Bewältigung der Aphasie-Lebenssituation häufig Phasen, in denen Betroffene wie auch Mitbetroffene Unterstützung seitens professioneller Fachleute gebrauchen können. Die Suche nach geeigneten Adressen/Praxen gestaltet sich oft schwierig und zeitaufwendig, sodass die meisten es lassen.
Deshalb freue ich mich, zwei Praxen nennen zu können, die auch telefonische Beratung anbieten. Beide Therapeutinnen haben familiäre Erfahrung mit Aphasie und verfügen über große fachliche Kompetenz. (siehe unter Links zum Thema).
Erika Pullwitt, Jahrgang 1942
Während einer Lesung aus ihrem Roman »Im Lande Gänseklein« im Mai 2013, SG-Aphasie, Stadtallendorf
Aphasie ist eine erworbene, d.h. plötzlich eingetretene Sprachstörung, die häufig durch einen Schlaganfall oder durch ein Schädel-Hirntrauma verursacht wird. Hirn-Areale, die für die Sprache zuständig sind, werden nicht mehr durchblutet.
Der Begriff Aphasie kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Verlust der Sprache«. Es ist meist kein vollständiger Verlust, jedoch sind die vier Sprachbereiche: Verstehen (Verarbeitung von gehörter Sprache), Sprechen, Lesen und Schreiben in ihren Funktionen gestört. Das Ausmaß einer Aphasie variiert von Fall zu Fall, manchmal ist nur ein Bereich betroffen, manchmal alle vier Bereiche. Zusätzlich können Begleitsymptome auftreten, wie z.B. Konzentrationsstörungen, Sprech- und Handlungsapraxien. Ebenso sind emotionale Beeinträchtigungen und Depressionen möglich. Halbseitenlähmungen sind zusätzlich häufig vorhanden.
Aphasie ist ein gravierender Eingriff in die Psyche/Identität des betroffenen Menschen und beeinträchtigt seine Lebens- und Beziehungsstrukturen. Das bedeutet gleichzeitig, dass Partner und nahe Angehörige von der Aphasie mitbetroffen sind.
Intensive logopädische Therapien wie auch Ergo- und Physiotherapien sind immer dringend notwendig, um Defizite möglichst zu beheben oder wenigstens zu mindern. Darüber hinaus wäre eine langfristige psychosoziale Begleitung und Beratung bei Bedarf mehr als sinnvoll. Leider sind derartige professionelle Hilfsangebote rar.
Von Aphasie betroffene Menschen denken in der Regel logisch. Sie benötigen zumeist mehr Zeit als vor dem Schlaganfall und können ihre Gedanken nicht mehr so schnell und deutlich durch Worte zum Ausdruck bringen. Das ist ein großes Handikap im sozial-kommunikativen Bereich.
www.aphasiker.de
www.aphasie-unterfranken.de
www.stiftung-schlaganfall.de
www.schlaganfall-hilfe.de
www.schlaganfall-info.de
2012 erschien in Zusammenarbeit mit Andreas Winnecken
»Aphasie - Wenn Sprache zerbricht – Die Betroffenheit der Mitbetroffenen«
im Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein.
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Rezensionen lesen
Der Roman »Im Lande Gänseklein« ermöglicht einen Einblick in die speziellen Konflikte und Besonderheiten der Aphasie-Lebenssituation eines Paares. Erzählt wird aus der Sicht der mitbetroffenen Ehefrau, die sich in einen anderen Mann verliebt.
Der Roman wird von mir überarbeitet, in der Hoffnung ihn bald wieder zu veröffentlichen.